Krank und Autonom
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Forums-Moderatorin Angela Jansen

Im Forum taucht in allen Foren unter Moderation der Name Angela auf.

Wer ist Angela?

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Ein paar Hintergründe zu ihr in diesem älteren Artikel der Berliner Zeitung:

Sollte es Fragen an Angela geben, einfach an unsere Email-Adresse senden oder direkt ins Forum posten.

Mit den Augen der Angela Jansen

von Anke Springer

Sie leidet unter der gleichen Krankheit wie Jörg Immendorff und Stephen Hawking. Sie spielt Theater und schreibt ein Buch.

Das zweite Leben der Angela Jansen beginnt wie ein schlechter Streich: Sie denkt, sie habe Klebstoff unter den Schuhen. Beim Tanzen hält ihr etwas die Füße fest. Verwirrt schaut sie in die Runde. Was soll das? Die anderen tanzen weiter. Vor-vor-chassis-seit-rück-chassis-seit-vorbei, lock-zwei-drei-dreh’n-seit-schluss. Die Turniertänzerin kennt die Schritte doch aus dem Effeff. Angela Jansen ärgert sich: Ich habe jetzt gelacht ha, ha, und nun langt’s!

Aber es ist kein dummer Scherz, auf den sie hereinfällt. Angela Jansen beschleicht zum ersten Mal die Ahnung, dass mit ihr etwas nicht stimmt: Sie kann die Beine nicht mehr richtig bewegen. An diesem Tag beginnt für sie die Zeit mit der Krankheit.

Die Krankheit. Der Düsseldorfer Maler Jörg Immendorff leidet daran, der polnische Fußballprofi Krzysztof Nowak und der britische Physiker Stephen Hawking ebenfalls. Ein Jahr brauchen die Ärzte, um sicher zu sein, dass auch Angela Jansen sie hat. Im März 1995 erfährt sie es. ALS lautet der Befund, Amyotrophe Lateralsklerose – schon dieses Wortungetüm. Angela Jansen ist 39, als sie es zum ersten Mal hört. Sie erfährt, es gibt keine Heilung.

Die Krankheit kriecht unaufhaltsam von ihren Füßen den Körper weiter hoch und legt die Gliedmaßen still: erst nur den Fuß, dann das ganze Bein. An Turniertanz ist nicht mehr zu denken. Die Finger, Hände, Arme. Ihren Job als Verwaltungsangestellte bei der British Army muss Angela Jansen schließlich ebenfalls aufgeben. Irgendwann versagt ihr auch die Zunge den Dienst. Sie ist 43, als die Krankheit die Atemmuskulatur lahm legt. Sie entscheidet sich für eine künstliche Beatmung. 95 Prozent der ALS-Kranken ziehen da bereits den Tod vor, weil sie schlicht zu erschöpft sind, um weiterzukämpfen. Drei bis fünf Jahre Lebenserwartung geben die Ärzte ihnen meistens noch.

Angela Jansen lebt schon sechs Jahre mit Beatmungsgerät, als Christoph Schlingensief Mitte des Jahres 2004 einen ALS-Patienten für sein Theaterstück “Kunst und Gemüse A. Hipler” in der Volksbühne sucht. Er kommt mit Jansens Arzt in Kontakt, der fragt seine Patientin, Angela Jansen stimmt zu. Sie ist vollständig gelähmt, kann nicht mehr sprechen, und sie ist jetzt im Theater zu sehen. Ihre Bühne misst weniger als zwei mal anderthalb Meter und steht mitten im Zuschauerraum. Vorne lärmt es gewaltig, auch in Form und Farbe: Eine Kleinwüchsige mit Rauschgoldengelperücke, eine dicke Nackte mit übergestülptem Apfel als Kopf und ein Johannes-Heesters-Double tanzen, singen, sprechen wirres Zeug. Hinten liegt Angela Jansen, einsam wie auf einer Eisscholle. Sie liegt in einem Bett, das hüftlange Haar liegt zum Pferdeschwanz gebunden auf den Kissen neben ihr.

Ihr Gesicht sieht immer noch aus wie das einer Mittdreißigerin, so wie damals, als die Krankheit ausbrach. Mund und Augen können nur noch mühsam lachen. Was sie sagen will, kann man nicht hören, nur lesen. Ihr Text wird über der Bühne eingeblendet. Sie kommentiert ihre Krankheit mit Sätzen wie “ALS ist terror”, sie gibt für Schlingensief das lebende Exempel für Verfall. Sie ist ihm auch eine menschliche Metapher für den Verfall des Theaters.

Mit dem linken Auge bedient Angela Jansen ein lasergesteuertes Computersystem, das wie eine Schreibmaschine funktioniert, nur dass die Buchstaben durch Blickkontakt ausgewählt werden. “ich bin nicht krank, ich kann mich nur nicht bewegen”, schreibt sie. Die schwarz getuschten Wimpernkränze zittern. Ihre Augäpfel beschreiben den Weg zu einzelnen Buchstaben. Sie bildet Worte und Sätze, während ihre Arme neben dem Körper liegen. Reglos, aber doch präsent. Ihre Hände sind sorgfältig manikürt, die Fingernägel in einem dunklen Metallic-Ton lackiert. Angela Jansen genießt die Aufmerksamkeit im Kreis der Scheinwerfer. Mehr erschrocken, denn bewundernd blicken die Zuschauer auf die Frau mit den spitzen Knien.

Fünfzig Kilogramm mag ihr Körper noch auf die Waage bringen, viel mehr sind es nicht. Bei ihrem Auftritt trägt Angela Jansen Leggins mit Leopardenmuster. Ihre Füße stecken in schwarzen Socken mit hellen Kringeln um die Zehen. Kleidung und ein Großteil des Textes sind ihr persönliches Statement zum Stück. Nein, es ist ihr Stück. Gleich zu Beginn hat Schlingensief “das Kommando ans Bett” gegeben. Mehrfach steht das Ensemble um sie herum. In einer Szene hebt sich die Decke auf ihren Beinen und schwebt wie von Zauberhand davon. “meine kids würden sagen: es ist GEIEL!”, schreibt Angela Jansen.

Kati, ihre Tochter, ist achtzehn. Der Sohn Kai ist zwanzig. Sie leben noch bei ihrer Mutter in einer Charlottenburger Mietswohnung. Kai steckt nur kurz den Kopf zu seiner Zimmertür heraus. Schon wieder Besuch. Ein Haushalt mit Rund-um-die-Uhr-Pflege ist etwa so ruhig wie der Durchgangsverkehr am nahe gelegenen Kaiserdamm. “Wir hatten so viele Pfleger hier”, sagt Kati mit leicht genervtem Unterton. Ein Team von fünf Leuten wechselt sich ab: Radi, Constanze, Martin, Tobias und Ramona. Vielleicht sind es aber auch schon wieder andere. Kati weiß das nicht so genau.

Zwischen all den Leuten laufen ein Mischling und eine Schäferhündin hin und her. Manchmal springen die Tiere zu Angela Jansen aufs Bett. Ein Rückzugsort für Sterbenskranke sieht anders aus. Angela Jansen mag es so. Das sagen ihre Augen, auch ohne Computer. Sie mag es auch, wenn Besucher in ihrem Zimmer rauchen. Es erinnert sie an die Zeit, in der sie selbst noch eine Zigarette zwischen den Fingern halten konnte. Sie liebte Feten, und sie versucht noch heute zu feiern. Zu ihrer letzten Halloween-Party hat sie auch ihrem Neurologen an der Berliner Charité eine Einladung geschickt. “wer nicht kommt hat Pech”, schrieb Angela Jansen.

Thomas Meyer ist nicht gekommen. Aus Prinzip, wie er sagt. “So wie ich auch keinen meiner Patienten duze.” Im Prinzip war er auch skeptisch, als Schlingensief bei ihm nach einem ALS-Kranken für sein Volksbühnenstück fragte. Dann aber empfahl er Angela Jansen wegen ihrer “Lockerheit, so’ner gewissen Schnoddrigkeit.” Aus seinem Mund klingen solche Worte schon nach einer sehr persönlichen Einschätzung. Der 38-Jährige beantwortet Fragen mit dieser typisch unaufgeregten Arztstimme, die sogar einen Schädelbruch nach einer erträglichen Verletzung klingen lässt. Sagt Meyer “Locked-In”, klingt es irgendwie nach Computer, meint aber das Eingesperrt-Sein seiner ALS-Patienten im eigenen Körper. Spricht er von der “biologischen Lösung”, redet er über den Tod.

Meyer ist ALS-Spezialist. Auch der Maler Jörg Immendorff hat sich an ihn gewandt. Heilen kann Meyer ihn aber auch nicht. “Selbst wenn es sarkastisch klingt”, sagt der Arzt, “das Beste, was passieren konnte, ist, dass sich Immendorff mit neun Prostituierten in einem Hotel verlustiert hat.” Eine Sex-Orgie hat ALS erst zur öffentlich wahrgenommenen Krankheit gemacht.

“Absolut Letzte Scheiße” hat ein Betroffener ALS in seiner Verzweiflung sehr frei auf der eigenen Homepage übersetzt. Im vergangenen September ist er gestorben. Bislang gibt es nur ein einziges zugelassenes Medikament gegen ALS. Die lebensverlängernde Wirkung von Rilutek beträgt drei Monate und ist damit noch kürzer als die Wartezeit auf einen Untersuchungstermin bei den Spezialisten.

Die Forscher rätseln und sechstausend ALS-Patienten in Deutschland hoffen auf ein Wunder. Angela Jansen schreibt an einem Buch.

Sie schreibt den Text mit den Augen. Eine ALS-Patientin erzählt für ALS-Patienten. In erster Linie sieht sie das Buch wohl als eine Art Trostspender für Betroffene. Viele der Kranken wählten den Freitod weil sie nicht mehr mit der Krankheit leben können, meint Angela Jansen. Mit der künstlichen Beatmung hat sie selbst sich für das Leben entschieden. Wenn es keine Komplikationen gibt, bleiben ihr noch viele Jahre, vielleicht Jahrzehnte. Der Physiker Stephen Hawking lebt seit 1985 mit einem Beatmungsgerät.

Angela Jansen hat sich Zeit genommen für das Skript. Unterhält sie sich, beachtet sie nicht unbedingt Groß- und Kleinschreibung, hebt Buchstaben hervor. Für das Buch aber schreibt sie eher nach den üblichen Regeln. Wer das Skript liest, merkt schnell, dass sie auch abrechnen will. Mit der Heerschar ständig wechselnder Pfleger: “Daß da Typen bei sind, wo ich die Straße wechseln würde, um nicht in eine Schlägerei zu geraten, hätte ich nicht gedacht.” Mit unsensiblen Ärzten: “Solange noch keine Diagnose feststeht, sind alle interessiert. Von dem Moment an, in dem sie die Symptome für ALS halten, lassen sie die Waffen fallen – keine Ãœberlegung, kein Gedanke mehr über die Grenzen von ALS hinaus.” Kurz: Sie rechnet ab mit dem Gesundheitssystem, von dem sie sich unter all den Schläuchen und Pflastern oft im Stich gelassen fühlt.

Sie beschreibt Momente, in denen sie ihre Wut nicht herausschreien, sondern nur mit den Wimpern ein resigniertes “ja” blinkern konnte. Die Niederschrift muss sie erleichtert haben: “ich habe meine Krankheit mittlerweile akzeptiert”, meint Angela Jansen. ALS-Kranke sind Meister der Anpassung. “Phönix aus der Asche” will sie ihr Werk nennen. Phönix, wie der mythische Vogel, Symbol der Wiedergeburt. Phönix, wie die E-Mail-Adresse von Angela Jansen. Die Idee für den Titel stammt aus einer Zeit, in der sie sich noch mit aller Gewalt gegen die Ãœbermacht der ALS wehren wollte.

Als “Kunst und Gemüse” Premiere hatte, feierte sie ihren 49. Geburtstag – im elften Jahr nach ALS. Am zehnten Februar ist sie wieder in der Volksbühne zu sehen. Angela Jansen würde hinter diesen Satz ein Ausrufezeichen setzen.

Berliner Zeitung, 22.01.2005

 

Hintergründe

Bei Christoph Schlingensief wurde Anfang 2008 Lungenkrebs diagnostiziert. Der bekannte und auch im Laufe seiner Krankheit weiterhin künstlerisch tätige Film- und Theaterregisseur verfolgt mit dieser Seite die Idee, ein kleines Netzwerk aufzubauen, das Patienten unterstützen soll, bei denen vor kurzem Krebs oder ALS diagnostiziert worden ist.

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Bild „nach Krebserkrankung“
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Doku „Eine von Acht“