Krank und Autonom
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“Die Presse” schreibt über Krank und Autonom

Warum Prominente über Krebs sprechen

Yellow 'livestrong' wristband of the Lance Armstrong Foundation

von Teresa Schaur

Anastacia und Armstrong, Rudnik und Schlingensief: Wie V.I.P.s voller Mut und Wut beitragen, aus einem Tabu eine normale Krankheit zu machen. Die Österreichische Krebshilfe setzt auf prominente Sprachrohre.

Ute ist 61, Filmemacherin und Publizistin. Und sie leidet an Brustkrebs. In ihrem Profil auf der Website krank-und-autonom.org steht ihr Motto: „Krebskranke aller Länder, vereinigt euch!“

Gegründet hat die Website ein bekannter Lungenkrebspatient: Christoph Schlingensief. 2008 wurde bei dem Regisseur die Krankheit diagnostiziert, der linke Lungenflügel entfernt. Seit Dezember weiß er, dass auch im rechten Metastasen wuchern. Mit seiner Seite will er „geschockten Patienten“ helfen. Und er fordert sie auf, zu ihrer Krankheit zu stehen, so wie er selbst, wenn auch nach einiger Überwindung. Mit Interviews, Fernsehauftritten und mit seinem Krebstagebuch. „Stehen Sie zu Ihrer Krankheit“, steht auf seiner Seite, und: „Schluss mit der Geheimniskrämerei!“ Denn das Sprechen über Krebs fällt schwer – normalen Patienten genauso wie Prominenten, auch heute noch. Und dabei ist es schon viel leichter geworden.

Pionierin Betty Ford. Vor 30 Jahren war eine derartige Erkrankung ein streng gehütetes Familiengeheimnis. Bis niemand Geringerer als eine US-First Lady das Schweigen brach. 1974 sprach Betty Ford öffentlich über ihre Brustamputation – und leitete einen langsamen Wandel ein. Nach ihrem Bekenntnis stieg auch die Früherkennungsrate rasant an – ein Phänomen, das als „Betty-Ford-Echo“ bekannt ist, und das sich seither einige Male wiederholt hat. Etwa 2005, als bekannt wurde, dass Popsängerin Kylie Minogue Brustkrebs hat; oder 2008, als das Realitysternchen Jade Goody die Diagnose Gebärmutterhalskrebs bekam.

Die Österreichische Krebshilfe setzt in ihren Aufklärungskampagnen ganz bewusst auf prominente, wenn auch gesunde Sprachrohre. „Damit erreichen wir, anders als mit rein medizinischen Appellen, auch jene, die so leben, als hätten sie eine zweite Gesundheit im Kofferraum“, sagt Krebshilfe-Geschäftsführerin Doris Kiefhaber.

Popsängerin Anastacia ging mit ihrem Brustkrebs an die Öffentlichkeit, um den lebenden Beweis anzutreten, „dass es gut gehen kann. Je früher man die Krankheit erkennt, desto größer sind die Chancen, wieder gesund zu werden“. Gerade diese Art Aufklärung scheint dringend nötig zu sein. Noch hinke die öffentliche Wahrnehmung der Realität hinterher, sagt die Radiologin Natascha Wachter-Gerstner. „Patienten assoziieren Krebs mit Leiden, Siechtum, Tod. Dabei ist Krebs in den letzten zwei Jahrzehnten vielfach von einer unmittelbar lebensbedrohenden zu einer chronischen Krankheit geworden.“

Krankheit voller Mythen. Dass Krebs trotz allem noch ein Tabu ist, bestätigt die Psychoonkologin Hedwig Wölfl. Obwohl der „Schleier der Tabuisierung“ weiter gelüftet wurde, sei die Angst davor immer noch riesig. Doch warum? Weil Krebs mythenbehaftet sei, meint sie. Und weil er, anders als ein Herzinfarkt, scheinbar wie aus dem Nichts kommt, wie es auch Christoph Schlingensief formuliert. Es gibt viele mögliche Ursachen oder auch keine. „Und wir Menschen scheinen mit etwas, das nicht klar ist, schlecht umgehen zu können“, so Wölfl.

Besonders schwierig wird es, wenn das Tabu Krebs auf tabuisierte Körperteile trifft. Einst galt das besonders für Brustkrebs. Barron H. Lerner, Mediziner an der New Yorker Columbia University und Autor des Buchs „When Illness Goes Public“ („Wenn Krankheit an die Öffentlichkeit gelangt“), meint im „Presse am Sonntag“-Gespräch: „Brustkrebs war das größte Tabu von allen.“ Durch den öffentlichen Diskurs habe sich das geändert. Schauspielerin Christina Applegate („Eine schrecklich nette Familie“), der beide Brüste entfernt wurden, kürte das „People“-Magazin im April immerhin zur schönsten Frau der Welt. Lerner: „Heute ist Brustkrebs der Krebs mit den wenigsten Tabus.“

Anders verhält es sich noch immer mit Intimbereichen, über die man auch ohne Krebs nicht so gerne spricht: Darm, Vagina oder Penis. Wenig wahrscheinlich, dass hier Charlies Ex-Engel Farrah Fawcett etwas ändern wird. Neun Millionen Zuseher hatten im Mai die Sendung „Farrah’s Story“ gesehen – ein Videotagebuch, in dem die Schauspielerin ihr Ringen mit dem Krebs dokumentiert. Das Wort „bösartiges Analkarzinom“ fiel darin nur einmal.

Eine Hürde für den offenen Umgang entsteht auch, wenn der Betroffene eine – vermeintliche – Mitschuld trägt. Das betrifft vor allem den Lungenkrebs. „Die erste Frage ist immer, ob jemand Raucher ist“, sagt Lerner. „Da wird schnell geurteilt, ob jemand selbst schuld ist oder nicht. Dabei ist das eine viel zu große Vereinfachung.“

Wenn Prominente trotz Tabus mit ihrer Krankheit an die Öffentlichkeit gehen, tun sie das meist aus altruistischen Motiven, so Lerner. Freilich, nicht immer geht das Kapitel Krebserkrankung so gut aus wie beim Radfahrer und Hodenkrebspatienten Lance Armstrong, der mit seiner „Livestrong“-Kampagne vielen anderen Patienten Hoffnung gab. Der US-Computerwissenschaftler Randy Pausch starb – doch davor hielt er noch eine eindrucksvolle Abschiedsvorlesung. Seine Gedanken über das Leben waren auch für Nicht-Betroffene eine Inspiration.

„Das bin ich jetzt.“ Vielleicht aber ist der Gang an die Öffentlichkeit manchmal ganz einfach nur eine persönliche Flucht nach vorn. „Ich will mich nicht länger verstecken, und ich will meine Krankheit nicht länger verstecken“, erklärte die kürzlich verstorbene Schauspielerin Barbara Rudnik der Illustrierten „Bunte“: „Ich möchte mich erhobenen Hauptes mit meinen kurzen ungefärbten Haaren zeigen und sagen: Das bin ich jetzt.“

Artikel von Teresa Schaur in der österreichischen Zeitung, Die Presse, vom 14.06.2009

 

Hintergründe

Bei Christoph Schlingensief wurde Anfang 2008 Lungenkrebs diagnostiziert. Der bekannte und auch im Laufe seiner Krankheit weiterhin künstlerisch tätige Film- und Theaterregisseur verfolgt mit dieser Seite die Idee, ein kleines Netzwerk aufzubauen, das Patienten unterstützen soll, bei denen vor kurzem Krebs oder ALS diagnostiziert worden ist.

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Arbeiten von Patienten

Frederike von Stechow
Doku „Eine von Acht“
Brigitte T.
Bild „nach Krebserkrankung“